Im Dezember 2009 zieht die Alfred Ehrhardt Stiftung von Köln nach Berlin. Die Stiftung widmet sich der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Nachlassbestände des Werkes von Alfred Ehrhardt (1901-1984), als Fotograf und Kulturfilmer ein herausragender Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Die gemeinnützige Alfred Ehrhardt Stiftung besteht seit sieben Jahren. »In Berlin wollen wir die Kooperation mit anderen Institutionen ausbauen und in verstärkter Weise zeitgenössische Künstler mit einbeziehen«, so Dr. Christiane Stahl, Leiterin der Stiftung. Christiane Stahl ist Kunsthistorikerin und Gründungsdirektorin der Alfred Ehrhardt Stiftung. Neben ihrer Stiftungstätigkeit ist sie seit 2006 Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) und seit 2007 Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie (DFA).
In der Gegenüberstellung von zeitgenössischen Fotografen und Fotografinnen, die sich mit dem Begriff der »Natur« und den »Konstruktionen des Natürlichen« auseinandersetzen, und historischer Fotografie und Filmkunst von Alfred Ehrhardt liegt der besondere dialogische Ansatz der Ausstellungstätigkeit in Berlin. Dieser Dialog wird in Form von Veranstaltungen und Gesprächen fortgeführt und durch begleitende Publikationen abgerundet.
Eröffnet werden die neuen Räume in Berlin mit der Serie Paradise Now von Peter Bialobrzeski und Fotografien und Filmen zum Themenkomplex der Naturdinge von Alfred Ehrhardt.
In Paradise Now thematisiert Peter Bialobrzeski (geb. 1961 in Wolfsburg) die sowohl vom Menschen gepflanzte als auch vom Stadtwachstum unberührt gelassene, urwaldartige Natur in den asiatischen Mega-Städten Jakarta, Singapur, Bangkok und Kuala Lumpur. Wie in seinen früheren Serien Neontigers und Lost in Transition lotet Bialobrzeski die Grenzen des Dokumentarischen meisterhaft aus. Seine Bildkompositionen sind verführerisch wie Gemälde der Romantik, doch ist ihre oberflächliche Schönheit trügerisch. Ausschließlich zur Abenddämmerung oder nachts aufgenommen, lassen die Neonleuchten und angestrahlten Wolkenkratzer das wuchernde Tropengrün zwischen hyperreal und surreal changieren. »Die Bilder inszenieren das üppige Wachstum als Zeichen der Hoffnung, werfen aber auch die Frage auf, ob wir dieses Leuchten angesichts der prognostizierten Klimakatastrophe noch verantworten können« (Bialobrzeski). Die paradiesisch anmutende, von glitzerndem Großstadtlicht erleuchtete Natur scheint sich gegen die urbane Struktur durchsetzen zu können. So evoziert Paradise Now das Szenario einer fernen Zukunft, in der der Mensch von diesem Planeten wieder verschwunden sein wird und sich die Natur ihren Platz zurück erobert.
Im Hatje Cantz Verlag ist zu Peter Bialobrzeskis Serie Paradise Now ein gleichnamiger Katalog erschienen (Preis 58,00 €, ISBN 978-3-7757-2332-9).
Alfred Ehrhardt stellt die Natur als eine den Menschen überdauernde, überzeitliche Kraft dar. Der Mensch ist Teil der Natur, sie wird als traditionelle Gegenspielerin der Insignien des Zivilisatorischen zur normativen Instanz. Der Dialog mit Peter Bialobrzeskis Paradise Now verdeutlicht, dass die Natur den Kampf gegen die vom Menschen geschaffenen Welten aufzunehmen und sich zu behaupten weiß.
Alfred Ehrhardt (1901–1984) ist bekannt für seine fotografischen und filmischen Studien von Naturdingen, von Korallen, Schwämmen, Muscheln, Schnecken, Seeigeln, Seesternen, Kristallen und Gesteinen, die von großem Respekt für die vielfältigen Formen der Natur zeugen. In der mächtigen Bildsprache der Neuen Sachlichkeit verdeutlichte er den Formenreichtum und die Gesetzmäßigkeiten der Natur mit typologischer Systematik und naturwissenschaftlichem Darstellungsmodus. Für ihn waren die vielfältigen Erscheinungsformen der Natur Zeichen eines übergeordneten, schöpferischen Plans im Sinne eines pantheistischen Naturverständnisses. Den lebensreformerischen Strömungen seiner Zeit verpflichtet, war er überzeugt, dass sich in der Formanalogie zwischen den »Kunstformen der Natur« (Ernst Haeckel) und den »Urformen der Kunst« (Karl Blossfeldt) eine kosmologische Kraft manifestiert, die die Formen des Mikrokosmos und des Makrokosmos gleichermaßen gestaltet. Die Natur, die es zu studieren galt, wurde zum Ausgangspunkt und zur Inspirationsquelle für das künstlerische Schaffen. Die fotografische Ausstellung wird ergänzt durch die Vorführung der drei preisgekrönten Dokumentarfilme Spiel der Spiralen (1951), Tanz der Muscheln (1956) und Korallen, Skulpturen der Meere (1964).