Die Kurische Nehrung mit ihren einzigartigen Wanderdünen und vom Wind täglich neu gestalteten Sandformationen hat schon Generationen von Literaten, Künstlern und Fotografen fasziniert und inspiriert. Früher gehörte der 96 Kilometer lange Dünenstreifen der Nehrung zu Ostpreußen, heute zu Russland und Litauen.
Mizgiris hat die Geschichte der Kurischen Nehrung erlebt als eine Geschichte vom Kampf des Menschen mit dem Sand. Die Ostsee wirft den Sand ans Ufer, der Wind hebt ihn auf und bläst ihn zu einer riesigen Wanderdüne zusammen. Wenn der Mensch keine Vorsorgemaßnahmen trifft, wird sein Haus von dem umhertreibenden Sand zugeweht. In seinem Buch Wind und Sand (2000) schreibt der Fotograf: »Man braucht Geduld, um den Augenblick abzupassen, wenn das Wunder der Entstehung von Meer, Wind, Sonne und Wolken in den Sandfeldern geschieht. Man muß warten, bis eine Wolke sich über den Dünen formt und bis der Schatten dorthin zieht, wo man ihn braucht. In den Dünen habe ich meine Wege, meine Jagdgründe. Ich spüre, wie die Dünen leben – sie sind wirklich lebendig. […] Die wirklichen Fossilien sind Millionen von Jahren alt – meine nur wenige Augenblicke. Es ist die Natur selbst, die all das ganz unerwartet wiederholt.«
Im Zentrum der IV. Ausstellung der Reihe 100 jahre bauhaus steht das fotografische Werk des litauischen Bernsteinsammlers und Fotografen Kazimieras Mizgiris (* 1950), der die Dünenformationen der Kurischen Nehrung kennt wie kaum ein anderer. Über Jahrzehnte hinweg besucht er früh am Morgen mit seiner Kamera – vorwiegend im Frühling und Herbst – die direkt vor seiner Haustür liegenden Wanderdünen der »Baltischen Sahara«. Seine Aufnahmen bizarrer Formationen, urzeitlichen Tieren ähnelnd, gestaltet durch das Zusammenspiel von Wind, Sand und Eis, sind auch deswegen einzigartig, weil sie sehr kurzlebig sind. Sie entstehen, wenn das im Sand gefrorene Wasser im Frühjahr taut und Eissandstelen zurück bleiben, die im Laufe des Tages durch die Sonneneinstrahlung schmelzen, durch den Wind abbröckeln und schließlich in sich zusammenfallen.
Dem gegenüber gestellt werden Alfred Ehrhardts abstrakte Aufnahmen von der Kurischen Nehrung aus dem Jahr 1934, die im Gegensatz zu Mizgiris‘ Bildern das strenge Formenvokabular eines am Dessauer Bauhaus geschulten Strukturalisten aufweisen. Wie in seinem 1938 erschienenen Buch Die Kurische Nehrung beschrieben, wollte er weniger »eine ›schöne‹ Landschaft zur Darstellung bringen, als vielmehr die Größe einer Landschaft erschließen, die noch unberührt und urhaft ist. […] Die Natur ist in ihrer kristallisch klaren Formensprache allzeit der größte Lehrmeister der Menschen gewesen«. Während Ehrhardt versucht, den Gesetzmäßigkeiten der Formenbildung auf den Grund zu gehen, suggeriert Mizgiris in seinen Fotografien die Verwandtschaft der Formen mit urzeitlichen Gebilden, um das Überzeitliche dieser sich ständig wandelnden Nehrungslandschaft zu charakterisieren. Beide Fotografen drücken ihre Faszination für die Naturformen dieser außergewöhnlichen Urlandschaft aus.
Zur Ausstellung erscheint die Publikation Kazimieras Mizgiris. Wind + Sand. Kurische Nehrung im Kehrer Verlag.